Green Guide #10 – Die stille Katastrophe: Lebensmittelverschwendung in der Industrie
- Mandy Hindenburg
- 1. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
Lebensmittelverschwendung ist eines der größten und zugleich am meisten unterschätzten Probleme unserer Zeit. Während sich viele Debatten um das Verhalten der Verbraucher:innen drehen - zu große Portionen, falsche Lagerung, das abgelaufene Joghurtglas - bleibt ein zentraler Bereich oft völlig unbeachtet: die industrielle Lebensmittelvernichtung. In dieser Podcastfolge von vilaron voice schauen wir genau dorthin, wo viele lieber wegschauen - in die Produktion, Logistik und Struktur unseres Lebensmittelmarktes.

Denn Fakt ist: Die größten Verschwender sitzen nicht am Esstisch, sondern in der Lieferkette.
Was bedeutet Lebensmittelverschwendung für die Industrie?
Die Vernichtung von Lebensmitteln beginnt lange bevor die Produkte in den Handel gelangen. Schon auf dem Feld wird aussortiert, wenn Gemüse nicht den Handelsnormen entspricht. In der Produktion führen Kennzeichnungsfehler, Maschinenstörungen oder kleine Verpackungsmängel dazu, dass tonnenweise Lebensmittel direkt entsorgt werden - obwohl sie genießbar sind.
Rund 60 Prozent aller Lebensmittelabfälle entstehen in der Landwirtschaft, in der Verarbeitung und im Großhandel. Diese Verluste sind kein Versehen, sondern systembedingt: Überproduktion, Sicherheitszuschläge, Marktlogik und Normenwahn führen zum bewussten Wegwerfen von Lebensmitteln - Tag für Tag.
Warum sehen wir das nicht?
Diese massive Form der Verschwendung bleibt im Verborgenen. Der Ort des Geschehens ist für Verbraucher:innen unzugänglich: Lagerhallen, Produktionslinien, Zwischenlager. Es gibt keine Meldepflicht, keine öffentlichen Zahlen, keine Transparenz.
Stattdessen wird die Schuld verlagert: auf die Verbraucher:innen, die "falsch einkaufen", "zu viel kochen" oder "schlecht planen". Doch diese Schuldzuweisungen verschleiern ein strukturelles Versagen: ein industrielles System, das auf Effizienz und Perfektion ausgelegt ist - und auf Kosten von Ressourcen, Umwelt und sozialer Gerechtigkeit funktioniert.
Die Folgen: Ressourcenverschwendung, Klimakrise, soziale Ungleichheit Jedes weggeworfene Lebensmittel bedeutet auch: Verschwendung von Wasser, Land, Energie, Arbeitszeit und CO².
Beispiel: Für 1 kg Rindfleisch werden rund 15.000 Liter Wasser benötigt. Werden diese Produkte in der Industrie vernichtet, ist nicht nur das Lebensmittel verloren, sondern auch alles, was zu seiner Herstellung nötig war.
Lebensmittelverschwendung ist heute für etwa 8-10% der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich - mehr als der gesamte weltweite Flugverkehr. Hinzu kommt die ethische Dimension: Während in Deutschland tonnenweise genießbare Lebensmittel vernichtet werden, hungern weltweit Millionen Menschen.
Was wir dagegen tun können
Sichtbarkeit schaffen: Sprich darüber. Teile Berichte. Unsichtbares sichtbar machen.
Politischen Druck ausüben: Fordere gesetzliche Regelungen, wie sie andere Länder längst haben.
Konsumiere bewusst: Anbieter unterstützen, die transparent wirtschaften und krummes Gemüse anbieten.
Hinterfragen im Beruf: Nutze deine Position, um Veränderungen von innen anzustoßen.
Initiativen unterstützen: Ob Foodsharing, Too Good To Go oder die lokale Tafel - dein Engagement zählt.
Nicht ohnmächtig - aber unbequem
Die industrielle Lebensmittelverschwendung ist eine stille Katastrophe - aber kein Naturgesetz. Sie ist das Ergebnis unserer Strukturen, unserer Wirtschaftsweise, unserer Prioritäten. Und genau deshalb können wir sie ändern. Nicht allein, sondern gemeinsam.
Denn alles, was von Menschen gemacht ist, kann auch von Menschen verändert werden.
Die ganze Episode jetzt anhören: „Green Guide #10 - Lebensmittelverschwendung in der Industrie“ auf Spotify, Apple Podcasts & überall wo es Podcasts gibt.
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Quellen:
BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft):
➤ Rund 11 Mio. Tonnen Lebensmittelabfälle pro Jahr in Deutschland.
🔗 bmel.de – Lebensmittelverschwendung
Umweltbundesamt (UBA), Stand 2022:
➤ 10,8 Mio. Tonnen Lebensmittelabfälle entlang der Versorgungskette.
🔗 umweltbundesamt.de – Lebensmittelabfälle
Verluste in der landwirtschaftlichen Produktion
Thünen-Institut, Studie zur Primärproduktion:➤ Ursachen: Normabweichungen, Ernteverluste, fehlende Abnahme.🔗 Studie des Thünen-Instituts (PDF)
FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN):➤ 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel werden weltweit pro Jahr verschwendet.🔗 WWF über FAO-Daten zur globalen Verschwendung
WWF Deutschland:
➤ Lebensmittelverschwendung verursacht 8–10 % der globalen Treibhausgase.
🔗 WWF.de – Lebensmittelverschwendung und Klimawandel
EHI Retail Institute, zitiert durch BMEL:
➤ Jährlich ca. 310.000 Tonnen verlorene Ware im LEH, ca. 1,1 % Umsatzverlust.
🔗 BMEL – Studie zu Lebensmittelabfällen im Einzelhandel (PDF)
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